Initiation - Der Weg ins Leben

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Kaum ein anderes Volk dieser Erde

hat sich mit soviel Zeit, Liebe und Aufmerksamkeit der Erziehung seiner Kinder gewidmet wie die Aborigines. In dieser Initiationszeit, die mehr als zehn Jahre dauerte, wurden die Kinder mit allen Werten vertraut gemacht, die wichtig und heilig waren, um das Leben in der Wüste zu meistern und mit der Natur und den Mitmenschen in Harmonie zusammenzuleben. Die Jahrtausend alte Wüstenpädagogik wusste, dass man kein Mitgefühl für die Schöpfung und die Mitmenschen entwickeln konnte, wenn man nicht am eigenen Leib Hunger und Durst, Schmerzen und Verzweiflung erfahren und erduldet hatte. Erst wer durch dieses „Tal der Tränen" gegangen war, fürchtete sich vor nichts mehr, nicht einmal vor dem eigenen Tod. Die Erziehungsmethoden der schwarzen Australier war die radikalste Befreiung von aller Sucht und Gier. Im Ertragen von Schmerz und Leid konnten die Jungen alles loslassen, was sie bisher erlebt hatten und bekamen dafür alles geschenkt, worum wir ein ganzes Leben lang verzweifelt ringen. Wie bei der Metamorphose aus einer unscheinbaren Raupe ein Schmetterling ging durch die Initiation ein lebenstüchtiger junger Mann hervor, der mit beiden Beinen im Leben stand.

Im Vergleich dazu bildet unser Schul- und Universitätssystem Menschen aus, die sich soweit von der Natur entfernt haben, dass sie in der Lage sind, sich selbst und die Lebensbedingungen dieser Erde zu zerstören: zwei Drittel der Bevölkerung leidet an selbstverschuldeten, so genannten unheilbaren Zivilisationskrankheiten, 50 Millionen Kinder werden weltweit jährlich abgetrieben, 30 Millionen Menschen sind mit AIDS verseucht und die Jugendlichen werden als „Kanonenfutter" in fragwürdigen Kriegen „verheizt". Unsere Umwelt ist durch den Fortschrittswahn teilweise irreparabel zerstört. Wir haben also keinen Grund, uns über die zum Teil schmerzhaften Initiationsrituale der Aborigines zu entrüsten, entscheiden ist die Lebenstüchtigkeit.

Die Einweihungszeremonien

Der Wunsch, endgültig ein Mann zu sein, war die größte Motivation, um die Gesänge, Tänze und Zeremonien zu lernen. Am Ende der Initiationszeit war aus dem Kind ein Mann geworden, der aktiv am Stammesleben teilnehmen konnte und die gleichen Lebensmaßstäbe wie seine Mitmenschen kannte. Es war ihm gestattet, zu heiraten und mit den Alten im Stammesrat zu sitzen und die Feste und Rituale mitzugestalten. Die Initiation diente gleichzeitig dazu, einen Generationenvertrag abzuschließen, die Alten bis an ihr Lebensende mit Fleisch zu versorgen und die jungen Leute in die Wüstengeheimnisse und die Religion einzuweihen.

Nach glücklicher Kindheit, in der sich die wilde Natur der Kinder voll entfalten konnte, wurden die Kinder bei Eintritt der Pubertät von ihren Familien getrennt und die Mädchen von den Frauen, die Jungen von den Männern in die Wüste geführt. Die Erziehung bestand darin, in der Wüste unter extremsten Bedingungen zu überleben und die Lieder, Gesänge und Zeremonien auswendig zu lernen:

„Wir sangen vom Gebirge und den Tieren, die in der Wüste lebten und kämpften. Wir lernten die Verse über den Sonnenaufgang und wiederholten den Gesang der Vögel im Morgengrauen. Wir tanzten wie goldene Sonnenstrahlen, die die Spitzen des Spinifexgrases am Gebirge versilberten. Danach lernten wir die Namen und das Aussehen unserer Urväter kennen und sangen Lieder über ihre langen Haare, deren Locken vom Kopf fielen wie Wasser vom Himmel. Danach lernten wir wie man Wallabys jagt und wie man noch mehr Felskängurus erzeugen kann, indem man von der KARORA-TJURUNGA Steinstaub abrieb und den Staub wie Felsenkänguruh-Keime über die Wüste verstreute".

Die Qualen und schmerzhaften Rituale waren nicht nur die radikalste Ablösung von der glücklichen Kindheit sondern regulierten auch die sexuellen Aktivitäten und hatten den Sinn, die jungen Leute unter die Autorität der Alten zu stellen.
Die Initiationszeremonien verliefen in verschiedenen Schwierigkeitsstufen:

  • den Zahn herausschlagen
  • in den Himmel werfen und beim Herunterfallen mit Fäusten blutig schlagen lassen, um wie neu geboren zu werden
  • Haare herausreißen, um die Männlichkeit anzuregen
  • die Vorhaut beschneiden, die Cicumcision und Subincision aufschneiden
  • die Räucherungszeremonie

Diese Rituale waren die unausweichlichen Vorbedingungen, aus einem Jungen einen Mann zu machen. Dazu musste Blut fließen, um die Männlichkeit zu verdienen und am eigenen Körper sichtbar werden zu lassen.

Auch der Wüstenvater Abraham musste mit Gott diesen Bund mit der Bedingung schließen:
"Ihr sollt aber die Vorhaut an eurem Fleisch beschneiden." (1. Moses 17,11).

Zum Schluss wurden die jungen Männer über qualmende Eukalyptuszweige gelegt, um durch die Feuerprobe wie ein Phönix aus der Asche wiedergeboren zu werden. Jetzt erst war er würdig, seine eigene Tjurunga in Empfang zu nehmen und auch zu heiraten; zunächst eine erfahrene Witwe, wenn sie starb, eine jüngere Frau. Die Alten hatten die jüngsten Frauen. Am Ende der Initiation wurde ein großes Volksfest, ein Corroboree oder Inkura Fest gefeiert. Inkura heißt Feuer, einer der die Feuerprobe bestanden hat. Dazu wurden die jungen Männer prächtig geschmückt und mit Erdfarben die Haut bemalt. Ein großes Inkura-Zentrum war nördlich von Hermannsburg in Ilbalintja, wo die Bandikut (kleine Beutelratte)-Männer zusammenkamen, um ihren großen Wüstenvater Karora zu feiern:

„Unsere Väter lehrten uns, unsere Heimat zu lieben und nicht nach einem anderen Land Ausschau zu halten. Sie sahen in Ilbalintja den größten und schönsten Bandikut-Zeremonienplatz seit Urbeginn aller Zeiten. Hier lagen die Bandikut-Tjurungas, und alle Zeremonien wurden hier gefeiert. Sechs Monate würden nicht reichen, um alle Zeremonien hintereinander aufzuführen."